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LIEBLINGSORTE " L AMBERTITURM IN BREYELL
Jahrzehntelang ist Ruth Rankers an ihm vorbeigelaufen. Als
Schülerin, als Auszubildende und später als Mutter mit Kinderwagen:
Der Lambertiturm war immer da. Beachtet haben
sie und viele andere Breyeller ihn aber kaum. „Unbeachtet,
ungeliebt und ungenutzt“ sei er gewesen, sagt Rankers heute
rückblickend. Dass der Turm mal einen so wichtigen Platz
in ihrem Leben einnehmen würde, ahnte sie damals noch
nicht. Als Mitglied des Fördervereins steckt die Rentnerin
heute einen Großteil ihrer freien Zeit in die Pege des Turms.
Sie deckt Tische für standesamtliche Trauungen ein, führt
Reisegruppen durch den Turm und organisiert Ausstellungen.
„Wenn das Brautpaar weg ist, spülen mein Mann und
ich auch schon mal 150 Sektgläser“, sagt sie.
Die wichtigste Lehre: Geduld
1999 wollte die Stadt Nettetal den heruntergekommenen
und von Efeu zugewucherten Turm aus dem 14. Jahrhundert
sanieren. Zu diesem Anlass gründete sich auch ein
Förderverein, der sich um den Erhalt des Turms kümmern
wollte. „Mein Mann, der lange in der Denkmalpege gearbeitet
hat, wurde dort Mitglied. Und je länger er dort arbeitete,
desto mehr faszinierte der Turm auch mich“, sagt Rankers.
Mit der Zeit entwickelte sie eine Vision für den Turm:
Er sollte Begegnungsstätte, Kulturzentrum und Treffpunkt
werden. Während ihr Mann vor allem das Bauliche und Historische
im Blick hat, kümmert sich Ruth Rankers um das
Kulturelle. Sie organisiert Lesungen, Ausstellungen und
schenkt zu Weihnachten weißen Glühwein aus. Dass man
für die Umsetzung von Ideen zuweilen einen sehr langen
Atem haben muss, das weiß sie jetzt. „Wir haben schon vor
zehn Jahren vorgeschlagen, dass wir standesamtliche
Trauungen im Gewölberaum anbieten könnten“, erzählt sie.
Vor drei Jahren waren die baulichen und brandschutzmäßigen
Voraussetzungen erfüllt und die Stadtverwaltung kam
auf die Idee zurück. Ruth Rankers fährt seitdem im Sommer
fast jeden Samstag Gläser aus dem eigenen Haushalt
und Blumensträuße aus dem eigenen Garten in Richtung
Turm und bereitet dort alles für die Brautpaare vor. Gegen
eine freiwillige Spende können die frisch Vermählten dann
einen Sektempfang auf dem Lambertimarkt genießen.
Die größte Laterne am Niederrhein
Seit der Fertigstellung der Außentreppe im Jahr 2004 sind
auch die übrigen drei Geschosse des Turms wieder einfach
und sicher zu erreichen. Im ersten Obergeschoss bendet
sich zur Zeit eine Ausstellung zu Breyeller Handelshäusern.
Vier bunt bemalte Glasfenster zieren das zweite Obergeschoss.
Sie stammen aus der Kantine der Firma Rötzel, die
über 70 Jahre lang der größte Arbeitgeber in Breyell war,
und zeigen Szenen aus der niederrheinischen Landschaft
und aus dem Stahlwerk. In der Glockenstube ganz oben
haben die Besucher eine grandiose Aussicht auf Breyell
und Umgebung. Außerdem dient die Glockenstube jedes
Jahr zu Sankt Martin einer ganz besonderen Aktion: Wechselnde
Gruppen und Einrichtungen gestalten für die acht
großen Turmfenster bunte Bilder, die dann von innen angestrahlt
werden und so die „größte Laterne am Niederrhein“
ergeben. „Viele Leute berichten uns, dass sie die Turmfenster
schon von der Autobahn aus sehen können und
dann ein ganz großes Heimatgefühl empnden“, erzählt
Rankers. Auch für Rankers ist Breyell Heimat – und das
seit mehr als 60 Jahren: „Ich wollte eigentlich immer mal in
einer Großstadt leben. Im Nachhinein bin ich froh, dass wir
es nicht gemacht haben.“
EIN TURM
FÜR ALLE FESTE
NIEDERRHEINER-LESERIN RUTH R ANKERS KÜMMERT S ICH L IEBEVOLL UM DE N ALTEN LAMBERTITURM IN
NETTETAL-BREYELL. S IE SETZT S ICH DAFÜR E IN, DASS DAS EHEMALS UNGELIEBTE BAUWERK Z U E INER
BEGEGNUNGSSTÄTTE FÜR A LLE ORTSBEWOHNER WIRD.