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GESICHTER DES NIEDERRHEINS " STEFAN BERGER
PENDELN
INS PARLAMENT
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DABEI I ST S TEFAN B ERGER, CHRISTDEMOKRAT AUS DE M K REIS V IERSEN UND B EKENNENDER EUROPÄER
MIT NIEDERRHEINISCHEN WURZELN.
Die Wahlnacht für das Europaparlament im Mai wird der
CDU-Kandidat aus Schwalmtal wohl so schnell nicht vergessen:
ein Wechselbad der Gefühle. Durch die Verluste
der CDU wackelte sein eigentlich sicherer Listenplatz.
Erst um 4.23 Uhr früh konnte er feiern. Im EU-Parlament
sitzt Stefan Berger nun neben dem ehemaligen italienischen
Regierungschef Silvio Berlusconi. Warum ausgerechnet
dem? Die konservative EVP-Fraktion besetzt die
Plätze im Parlament in alphabetischer Reihenfolge.
Berger postete ein Foto mit betont sachlichem Kommentar
auf seiner Facebook-Seite: „Mit Silvio Berlusconi hier:
Straßburg.“
Den Blick weiten
Als Europäer mit niederrheinischen Wurzeln fühlt sich
Berger nicht erst jetzt, wo sein ofzieller Dienstsitz Brüssel
ist. „Europa, Deutschland und meine Heimatregion gehören
für mich zusammen“, sagt der Politiker, der in Schwalm-
tal nah an der niederländischen Grenze wohnt. „Nur wer
sich in seiner Identität sicher verorten kann, kann seinen
Blick weiten und sich in einem größeren Zusammenhang
bewegen.“ Dazu hat er nun die Chance – und an Zielen
mangelt es nicht. So möchte er sich beispielsweise dafür
einsetzen, dass die Hochschulen Niederrhein und Rhein-
Waal weiterhin an europäischen Förderungen wie dem
Erasmus-Programm teilhaben können. „Bildung, egal ob
Ausbildung oder Studium, halte ich für elementar, damit
junge Menschen ihre Chancen ergreifen und sich ein gutes
Leben aufbauen können“, sagt Berger, der seit 2014 selbst
als Dozent an privaten Hochschulen arbeitet.
Bewunderung für die Eltern
Etwas für junge Menschen zu tun, war auch seine Motivation,
nach der Promotion am Mainzer Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik
1999 nach Schwalmtal zurückzukehren und
der Jungen Union beizutreten: der Start seiner politischen
Karriere bei der CDU. 2000 wurde Stefan Berger mit
30 Jahren zum ersten Mal als Abgeordneter des Wahlkreises
Viersen, Willich, Schwalmtal direkt in den NRW-Landtag
gewählt, dem er 19 Jahre lang angehörte. Am 27. Mai
2019 folgte dann der Sprung ins EU-Parlament. Seiner Heimatgemeinde
will er dennoch treu bleiben – nach Brüssel
ziehen möchte er vorerst nicht. In Schwalmtal ist er gemeinsam
mit seiner Zwillingsschwester aufgewachsen, hat
das Abitur am St. Wolfhelm Gymnasium gemacht. Beide
Eltern waren selbstständige Unternehmer; die Mutter führte
ein Geschäft für Raumausstattung, der Vater einen Kartoffelhandel.
Die Disziplin und der Arbeitswille der beiden
imponieren ihm bis heute.
Zusammenhalt in Europa stärken
Die regionale Perspektive möchte sich Berger auch als
EU-Abgeordneter erhalten. „Es gibt zu viele Politiker in
Brüssel, die noch nie in der Kommunalpolitik waren“, findet
er. Wie kommen die Entscheidungen der EU in Viersen,
in Nettetal, in Willich an? Das ist ihm wichtig. Früher,
in der Jungen Union, habe er sich oft geärgert über „die
da in Brüssel“. Nun ist er selbst einer von „denen“ und
sich der Herausforderung bewusst. Berger, weißes Hemd,
blaues Jackett, Kastenbrille, schmunzelt. „Naturgemäß ist
das Europäische Parlament größer und internationaler als
unser Landtag“, sagt er. „Für ergebnisorientierte Diskussionen
sollte man nicht auf nationalen Interessen beharren,
sondern seinen Blickwinkel weiten.“ Eine große
Chance für Europa sieht er darin, Netzwerke für die Verbesserung
des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts
zu knüpfen. „Wir müssen die Handlungsfähigkeit der
EU erhalten“, so sein Appell.
Gemeinsinn: Das Thema ist für Berger ganz zentral. Deshalb
schätzt er auch die niederrheinische Lebensart so.
„Die Lebensfreude und das Brauchtum, wie der Karneval
oder auch das Vereinsleben, sind enorm wichtig für den
Zusammenhalt.“ Ein weiterer Grund, warum ihm der Abschied
schwerfällt. „Wenn ich umziehe, verliere ich den
Kontakt zur Region“, sagt er. „Deshalb werde ich erst mal
hin- und herpendeln.“ Das freut auch seine Frau und die
fünfjährige Tochter, die ihn während der Plenarzeiten nun
öfter im gar nicht so fernen Brüssel besuchen werden.