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Klesse: Hier entsteht ein Vorzeigequartier mit einer Durchmischung
von Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung. Als
Stadtentfalter sorgen wir gemeinsam mit unseren Mutterhäusern
für die klimaschonende Versorgung des Quartiers,
bei der die Bereiche Wärme, Strom und Mobilität intelligent
miteinander verzahnt sind. Unsere Ziele sind es, den Energieverbrauch
und CO2-Austoß zu minimieren und das Quartier
maximal energieautark machen.
Was genau planen Sie für die Seestadt mg+?
Jungbauer: Im ersten Bauabschnitt errichtet die NEW die
Nahwärmeversorgung für knapp 250 Wohneinheiten. Ein wesentlicher
Baustein des ganzheitlichen Konzepts ist die Abwasserwärme
Rückgewinnung aus dem Kanalnetz. Wärmepumpen,
die mit Photovoltaik-Strom von den Dächern des
Quartiers betrieben werden, heben die Wärmeenergie des
Abwassers dabei auf ein nutzfähiges Temperaturniveau an.
Klesse: Haushalte und Industrie produzieren täglich warmes
Wasser, nur um es nach Gebrauch als Abwasser zu
entsorgen. Wir wollen den Kommunen signalisieren, dass
sich die Restwärme sinnvoll nutzen lässt. Mit dem Konzept
sind wir aber keineswegs festgelegt: Wir bauen in der Seestadt
eine zukunftsfähige Infrastruktur, die komplett innovationssoffen
ist.
Was bedeutet das?
Klesse: Wir sehen gerade, dass die Digitalisierung und die
Klimagesetze für grundlegende und schnelle Veränderungen
im Energiemarkt sorgen. Wir wissen aber noch nicht,
welche Technologien in fünf oder zehn Jahren interessant
sind. Die Wärmeversorgung, die wir jetzt aufbauen, muss
also in Zukunft immer die neueste Primärenergie nutzen
können – zum Beispiel auch Wasserstoff, der aus überschüssigem
Strom über Wind und Sonne oder aus Biogas
hergestellt wird.
Jungbauer: Nicht ohne Grund haben das Wirtschaftsministerium
des Landes Nordrhein-Westfalen und die Energieagentur
NRW der Seestadt mg+ bereits ofziell den Status
einer „Klimaschutzsiedlung“ verliehen. Das ist eine tolle
Auszeichnung für unser Energiekonzept.
Nachhaltigkeit heißt auch: Zugang zu umweltfreundlichen
Verkehrsmitteln. Was planen Sie für die Seestadt?
Klesse: Das Quartier ist oberirdisch autofrei, Autos fahren
in die Tiefgarage. Wir setzen voraus, dass dort zunehmend
WOHNEN UND ARBEITEN AM SEE
Mit der Seestadt mg+ errichtet der Investor Catella am Mönchengladbacher
Hauptbahnhof auf der Brache des ehemaligen
Güterbahnhofs circa 2.000 Wohnungen sowie Büros und ein
Hotel. Kernstück des Bauprojekts ist ein neuangelegter
20.000 m² großer See. Das Quartier wird auch wegen seiner
klimaschonenden Energieerzeugung Maßstäbe setzen. Verantwortlich
für das Energie- und Mobilitätskonzept ist die
Stadtentfalter GmbH.
Elektrofahrzeuge parken und laden werden. Deshalb
schaffen wir jetzt die Grundlagen für die private Ladeinfrastruktur,
die wir später in der Seestadt mg+ brauchen. Mit
einem intelligenten Lastmanagementkönnen wir den verfügbaren
Strom so verteilen, dass 100 oder mehr E-Autos
zugleich in der Tiefgarage mit Strom aus dem Quartier laden
können.
Jungbauer: Zusätzlich wird es an den Rändern freie Ladesäulen
geben, an denen Bewohner und Besucher der
Seestadt ihre E-Autos laden können. Außerdem bieten wir
den Menschen Alternativen zum eigenen Fahrzeug an. Bis
zum Endausbau der Seestadt wollen wir drei Mobilitäts-
Hubs installieren. Dort können E-Autos, E-Roller und
E-Bikes mit der Wheesy-App ausgeliehen werden. Auch
Paketstationen sind vorgesehen, denn der Lieferverkehr
soll ebenfalls draußen bleiben. Natürlich kommt der grüne
Ladestrom von den Dächern des Quartiers.
Wenn noch mehr Quartiere energieautark gebaut
werden, schadet das nicht der NEW?
Jungbauer: Die Frage erübrigt sich, wenn man bedenkt,
dass Deutschland bis 2050 Klimaneutralität erreichen will.
Als regionale Energieversorger müssen wir frühzeitig neue
Geschäftsmodelle entwickeln. Wir sehen unsere Verantwortung
darin, die Energiewende vor Ort zu begleiten. Es wird
aber nicht die eine Energiewende geben – die Zukunft von
Strom, Wärme und Mobilität braucht viele gute Konzepte.
Wir haben die Kompetenz und bringen die Konzepte mit,
die unsere kommunalen Partner benötigen.
Fotos: Mar tin Leclaire
Raphael Jungbauer ist Unternehmensentwickler bei der NEW und
Geschäf tsführer Technik & Ver trieb der Stadtent falter GmbH.
Dr.-Ing. Andreas Klesse ist technischer Geschäftsführer der Avacon Natur
GmbH und kaufmännischer Geschäftsführer der Stadtentfalter GmbH.