GESICHTER DES NIEDERRHEINS " GÜNTER THÖNNESSEN
VIERSENS STADT-
UND STEINGESTALTER
NACH E LF JAHREN AMTSZEIT A LS V IERSENER BÜRGERMEISTER G ING GÜNTER
THÖNNESSEN 2 015 I N P ENSION. S EITDEM B ETÄTIGT E R S ICH A LS BILDHAUER
KÜNSTLERISCH – U ND V ERMISST N ICHTS.
Eigentlich sieht Günter Thönnessen so aus, als hätte er
nie etwas anderes getan. Die Hände rau und rissig, die
alte Jeans, der Pullover und sogar die Haare bedeckt mit
weißem Staub. In einer Hand hält er eine qualmende Zigarette,
in der anderen einen Meißel. In seiner Bildhauer-
Werkstatt, einer unbeheizten Doppelgarage neben der
Aldi-Filiale in Dülken, ist Thönnessens alter Beruf trotz
allem präsent. Sinniert der ehemalige Politiker und Bürgermeister
von Viersen doch über die ganz große Weltpolitik,
während Hammer und Meißel in rhythmischer Regelmäßigkeit
auf den Steinblock einschlagen, der mal ein
Kopf werden soll. „Erdgeschichtlich betrachtet“, sagt
Thönnessen, „ist beispielsweise Donald Trump nicht
mehr als ein Fliegenschiss.“ Tröstende Worte für alle,
denen die Welt gerade Sorgen bereitet.
Vor sieben Jahren begann Thönnessen mit der Bildhauerei.
Der Anlass war ein dramatischer. Ein Burn-Out
hatte ihn außer Gefecht gesetzt, er verließ Viersen für
zwei Monate, um sich Hilfe in einer Klinik zu holen. „Da
gab es auch einen Raum für Kunsttherapie. Malen kann
ich ja überhaupt nicht, deshalb habe ich dann mit Ton
etwas gemacht. Das war aber irgendwie nicht mein
Ding“, sagt der 66-Jährige. Er geht auf einen Friedhof
und bittet einen Steinmetz um ein Stück Stein, im Baumarkt
kauft er einige Meißel und legt einfach los.
Schnell merkt er, dass das „Steinekloppen“ ihn innerlich
anspricht und bei ihm eine fast meditative Wirkung
entfaltet. Er besucht Kurse, kauft besseres Werkzeug
und verbringt seine knappe Freizeit immer häufiger in
der Werkstatt.
Geduldsprobe für den Macher
2015 verabschiedet sich der SPD-Mann, der selten ein Blatt
vor den Mund nimmt, nach elf Jahren Amtszeit in den Ruhestand.
Seitdem hat er noch mehr Zeit für seine Leidenschaft.
Stundenlang meißelt er, er schleift den Stein immer
wieder ab, bis aus einem grauen Kalkstein-Block ein tiefschwarz
glänzender Kopf mit feinen Gesichtszügen geworden
ist. Köpfe sind seine Spezialität. Mal sei zuerst die Idee
da und dann der Stein, mal sei es umgekehrt, erzählt das
Ex-Stadtoberhaupt. Aus seinem letzten Familienurlaub in
der Toskana hat er sich weißen Marmor aus Carrara mitgebracht,
der nun darauf wartet, in ein Kunstwerk verwandelt
zu werden. 2016 präsentierte er gemeinsam mit seiner Ehefrau,
der Malerin Barbara Thönnessen, seine Skulpturen einer
breiten Öffentlichkeit. Unter dem Titel „Thönnessen +
Thönnessen – Die Zweite“ planen die beiden für November
2018 eine weitere gemeinsame Werkschau.
In seiner Zeit als Bürgermeister hat „Thönne“, wie ihn die
Viersener nennen, viel in Sachen Stadtentwicklung bewirkt:
Der Erschließungsring, die Umgestaltung der Südstadt oder
die Entwicklung des Dülkener Ortskerns wurden von ihm an-
gestoßen. „Ich war immer ein Macher und wollte Ergebnisse
sehen“, sagt er, „das ganze Gequatsche ging mir auf
den Senkel.“ Die Bildhauerei kommt seiner Macher-Mentalität
entgegen und lehrte ihn doch etwas Neues: Geduld. „Die
hätte ich als Bürgermeister auch oft brauchen können“, sagt
er rückblickend. Ob ihm die Politik denn manchmal fehle,
wollen wir wissen. „Überhaupt nicht“, sagt Thönnessen.
„Viele Politiker erkennen nicht, wann es Zeit ist, zu gehen.
Das wollte ich mir nie vorwerfen lassen.“
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