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Die Berverather lieben ihre kleine Kapelle
St. Josef. Schmuck sieht sie aus
mit ihrem roten Backstein, dem geschwungenen
Giebel und dem neobarocken
Glockentürmchen. Nur die acht
Kirchenfenster – abstrakt mit viel Blau –
fallen etwas aus dem Rahmen. Der
Lövenicher Künstler Will Völker entwarf
sie Ende der 1950er-Jahre. Gestiftet
hatte die Kapelle vor mehr als
100 Jahren ein reicher Bauer. „Damit
die Berverather zur Heiligen Messe
nicht immer ins drei Kilometer entfernte
Keyenberg gehen mussten“, erzählt
Wolfgang Lothmann vom Heimatverein
der Erkelenzer Lande. Nun sollen die
Kapelle wie auch der gesamte Ort und
weitere vier Ortschaften im Osten von
Erkelenz – Keyenberg, Kuckum, Ober-
und Unterwestrich – den Braunkohlebaggern
weichen. Bis 2028. Die Ortschaften
Borschemich, Immerath,
Pesch und Lützerath gibt es teilweise
schon nicht mehr.
Das Museum erfindet sich neu
Doch verloren geben die Erkelenzer ihre
Ortschaften nicht. Sie lassen sie
wiederauferstehen: In ihrem Museum,
das nur im Internet existiert, erinnern
liebevoll editierte Texte, Filme, Panoramen,
3-D-Animationen und unzählige
Fotos an die verlorene Heimat. Ein Arbeitskreis
des Heimatvereins, den
Wolfgang Lothmann leitet, hat dafür in
ehrenamtlicher Arbeit Wissenswertes
über Geschichte, Kultur, Menschen,
Bauwerke und Landschaft zusammengetragen.
Begeistert von so viel Pioniergeist
übernahm der Landesverband
Rheinland (LVR) damals gemeinsam mit
der NRW-Stiftung, der KSK Heinsberg,
der Sparkassen-Stiftung, der WestVerkehr
und weiteren Sponsoren die Kosten
für die Programmierung der Internetseite.
Bei seiner Eröffnung Ende 2018 war
das „Virtuelle Museum der verlorenen
Heimat“ eine Novität in der gesamten
deutschen Museumslandschaft.
Die Idee dazu entstand vier Jahre zuvor
auf einem Symposium des Vereins
zum Thema Heimat. Ein festes Haus,
das es vor dem Zweiten Weltkrieg einmal
gegeben hat, konnten sich die Erkelenzer
nicht leisten. „Und ein virtuelles
Museum kann immer weiterwachsen,
denn Speicherplatz gibt es ja genug“,
sagt Lothmann mit Humor. Der Zuspruch
aus der Internetgemeinde ist
groß: Mehr als 90 Besuche gibt es am
Tag. Mittlerweile sind die Abbaugebiete
erfasst, sodass jetzt auch die anderen
etwa 40 Ortschaften digital in Wort, Bild
und Ton verewigt sind. Viele der über
250 Beiträge hat Lothmann, der pensionierte
Deutschlehrer, geschrieben.
Auf den Spuren der Ordensschwestern
Auch die anderen zehn Arbeitskreise des
mit rund 1.400 Mitgliedern größten Heimatvereins
der Region sind sehr aktiv.
Sie organisieren Wanderungen und Studienreisen,
beschäftigen sich unter anderem
mit Mineralien, Musik, Mundart
und Geschichte. Letztere ist die Leidenschaft
der pensionierten Geschichtslehrerin
Rita Hündgen. Zusammen mit Hubert
Rütten erforschte sie ein Jahr lang
das Wirken der Ordensschwestern im
Erkelenzer Land. Anlässlich des 100-jährigen
Bestehens des Heimatvereins entstand
daraus in Kooperation mit dem
Förderverein Hohenbusch eine beeindruckende
Ausstellung, die an die aufopferungsvolle
Arbeit der Nonnen von Mitte
des 19. Jahrhunderts bis in dieses Jahrtausend
erinnert. Überwiegend in sechs
Ortschaften und in der Stadt Erkelenz
kümmerten sie sich unentgeltlich um die
Armen, die Alten, die Waisen, betreuten
tagsüber die Kinder der Tagelöhner,
pflegten Kranke und unterrichteten junge
Frauen in Näh- und Haushaltsführung,
aber auch ganz klassisch an Mädchenschulen.
Pfarrer und Privatleute holten
die Ordensschwestern damals in die Ortschaften.
„Weil die Not groß war und es
kaum Ärzte gab“, berichtet Rita Hündgen.
Reiche Bürger stifteten Häuser und Land
für die klösterlichen Gemeinschaften, die
unterschiedlichen Orden angehörten.
Im Oktober 2020 zeigte der Heimatverein
die 19 großen Banner mit Texten und Bildern
sowie Briefe, Dokumente und ein
Nonnenhabit im Priorensaal von Haus
Hohenbusch. Doch dann kam der Corona
Lockdown. Wenn die Lage es zulässt,
soll die Ausstellung am 16. Mai, dem Internationalen
Museumstag, noch einmal
eröffnet werden.
Aktuelle Infos gibt es unter
www.erkelenz-heimatverein.de,
das virtuelle Heimatmuseum finden Sie
unter www.virtuelles-museum.com
Fotos: Mar tin Leclaire
Wolfgang Lothmann
vor dem filigranen
Schnitzaltar in der
Kapelle St. Josef,
die bald Geschichte
sein soll.
Rita Hündgen freut sich, die Ausstellung
„Ordensschwestern im Erkelenzer Land –
eine Spurensuche“ nochmals zeigen zu
können.